Sonntag, 9. August 2015

Kindergarten und Grundschule 1994 - 1998 (3)

Ich stieg in den VW-Passat meines Vaters ein. Während ich einstieg sah mein Vater sehr ernst aus, und hielt mir eine Predigt darüber was Schule überhaupt bedeutet. Nachdem meine Mutter ebenfalls zugestiegen ist ging die Fahrt los. Mein Kopf war voller Gedanken, ich schaute aus dem Fenster und betrachtete die vorbeifliegende Natur.

Wie mag es in der Schule aussehen? Werde ich gut in der Schule sein? Wie sind eigentlich die Lehrer und Schüler? Werden Sie nett sein? Werde ich vielleicht Freunde finden? All diese Fragen gingen mir mit 7 Jahren durch den Kopf, während mein Vater schon fast monoton, zumindest kam es mir so vor, das Wort zum Sonntag runterratterte.

Wir fuhren sehr lange, unzählige Dörfer und Landschaften sind an uns vorbei geflogen, als das Auto endlich zum Stillstand kam. Es war Frühling und der süße Duft von Blumen lag in der Luft. Wir standen vor dem Schulgebäude, welches ebenerdig war. Es gab keine Treppen. Wir gingen zum Eingang der Schule wo uns der Schulleiter bereits erwartete. Herr Werner hieß also mein neuer Schulleiter.

Der Schulleiter schaute mich sehr nett an;
>>Hallo Michael, na bist du schon aufgeregt?<< frage er während wir sehr langsam durch das Schulgebäude gingen. Mein Vater fragte den Schulleiter was dies für eine Schule wäre, sie würde im allgemeinen ja anders sein als andere Schulen.

 >>Herr Richter, wir sind eine Schule für praktisch Bildbare, also eine Schule für Menschen mit starken Behinderungen. Wir helfen hier Kindern und Jugendlichen die an einer körperlichen oder geistigen Behinderung erkrankt sind, oder unter einer starken Lernbehinderung leiden.<<

Wie jetzt, Behinderung? dachte ich mir. Ich kannte dieses Wort aus dem Kindergarten, andere Kinder haben mich so beschmipft, was dieses Wort aber genau bedeutet, wusste ich nicht. Woher auch, denn ich war erst 7 Jahre alt. Also blieb ich erstmal unbefangen. Ich frage mich wo wohl die anderen Schüler sind.

Kurz darauf gingen wir in mein neues Klassenzimmer. Es gab eine Sitzecke, die sehr liebevoll gestaltet war. Neben der Sitzecke stand ein großes Regal mit allerlei Spielsachen, Stiften, Blöcken und Wasserfarben. Vor dem Klassenzimmer gab es einen Schulgarten, der aber leider schon abgeerntet war. Direkt im Klassenzimmer gab es eine separate Küche zum Schulkochen.

>>Unsere Schüler sind gerade bei einem Schulausflug die wir einmal jährlich unternehmen. Der Stundenplan besteht hauptsächlich aus Dingen des täglichen Lebens. Also aus Kochen, Haushaltshygiene, Malen und Zeichnen, Wandern, Reit und Ergotherapie.<< sagte der Schulleiter, während ich mich an der Tafel recht Zügellos auslies.

Das Gesicht meines Vaters hatte einen sehr ernsten Ausdruck. Wahrscheinlich hat meine Mutter  ihm nichts von dem Ergebnis der Schulpsychologischen Untersuchung erzählt.

>>Also wird mein Sohn weder Schreiben, noch Rechnen lernen? Das braucht man doch aber genauso für das Leben wie alles andere was sie eben aufgezählt haben Herr Werner!<< Den Zorn meines Vaters konnte ich Hören. Andere konnten dies Wahrscheinlich nicht, aber ich konnte dies. Es merkte dies immer sofort.

Der Schulleiter blickte milde lächelnd zu meinen Vater;
>>Selbstverständlich werden die Kinder auch in Deutsch und Mathe Unterrichtet. Heimatkunde steht ebenfalls auf den Stundenplan. Der Schwerpunkt unserer Schule liegt darin, die Kinder zu fördern. Dafür müssen aber erstmal Schritt für Schritt andere Defizite überwunden werden. Unsere individuelle Behandlung sieht vor, Kinder je nach dem persönlichen Fortschritt zu fördern, sodass eine Überforderung vermieden wird.<<

Die Besichtigung war nun vorüber und wir stiegen wieder ins Auto ein. Die Stille war gespenstisch, und die Luft zum schneiden dick.

Samstag, 8. August 2015

Kindergarten und Grundschule 1994 - 1998 (2)

Wenn es unter Umständen sehr schlecht für uns lief hat mein Vater sehr sehr viel getrunken. Es kam öfters vor, dass wir um drei Uhr Nachts aus dem Bett geholt wurden, um uns die Streitigkeiten meiner Eltern anzuhören, und unsere Meinung dazu abzugeben.

Für eine ernsthafte Meinung waren meine Schwerster und ich einfach noch viel zu jung. Durch die nächtliches Eskalationen meiner Eltern war ich im Kindergarten sehr aggressiv und ging sehr schnell an die Decke. Aus einer harmlosen Rangelei machte ich ein wahres Gemetzel. Ein Kind aus meiner Gruppe nahm mir meinen Teddy weg, worauf ich dem anderen Kind dann mit der Faust ins Gesicht schlug. Einmal beim Sport wurde ich als Fettwanzt bezeichnet. Daraufhin habe ich eine der Sitzbänke in der Turnhalle zur Seite umgeworfen, welche dann auch Prompt auf dem Fuß eines der anderen Kinder landete.

Dannach wurde ich in das Büro der Betreuer gebracht, meine Eltern wurden über den Vorfall ausführlich informiert. Selbstverständlich war Michael an allem Schuld. Die Betreuer sahen nicht, oder wollten nicht sehen, dass ich nicht allein Schuld an dem Unfall war. Zum Glück glaubte mir meine Mutter wenigstens. Der Vorfall war schon übel, das andere Kind war verletzt, und man überlegte mich aus dem Kindergarten zu werfen.

Zu Hause angekommen wartete Laura bereits auf mich und meine Mutter. Sie sah sehr traurig aus, auch meine Schwester hatte es in der Grundschule nicht einfach. Sie wurde täglich Opfer von irgendwelchen Übergriffen. Laura weinte oft wegen der Schule, und ich konnte es nicht verstehen, denn ich freute mich ja auf die Schule. Wahrscheinlich war ich einfach zu Jung. Als mir Laura erklärte welche schlimmen Sachen über sie in der Schule gesagt wurden, so verstand ich immer mehr, dass ich nicht zur Schule gehen wollte. Wahrscheinlich war die Schule genauso schrecklich wie der Kindergarten.

Es kam nach einiger Zeit der Tag wo ich mich aus dem Kindergarten verabschieden musste. Einen Tag zuvor hatte ich einen Termin beim Schulpsychologen, welcher feststellte, dass ich nicht für eine normale Schule geeignet bin. Zum Abschied jedenfalls Geschenkte uns der Kindergarten ein Foto mit allen Eltern und Kindern aus der Gruppe. Über dem Foto standen unsere Namen. Michael, Rudi und Ingrid.

Einen Tag später sollte ich mir dann meine neue Schule ansehen. Ich war sehr froh darüber nicht mit meiner Schwester auf eine Schule zu gehen. Das was ich von Laura hörte reichte mir vollkommen. Umso glücklicher war ich als ich hörte, dass meine neue Schule weit weg in Hofgeismar lag. Weit weg von all den anderen, die mich sowieso nicht wirklich leiden konnten.


Kindergarten und Grundschule 1994 - 1998

Man kann mit Sicherheit sagen, dass ich aus guten Verhältnissen komme. Mein Vater arbeitete bei Volkswagen, meine Mutter arbeitete auf einer Bank. Meine Schwester und ich waren fast im gleichen alter. Ich ging gerade erst in den Kindergarten, während meine Schwester schon die Grundschule besuchte.

Wir lebten im wunderschönen kurhessischen Bergland bei Kassel, in einen kleinen Dorf namens Habichtswald. Das Dorf war von Wäldern und Bergen umgeben, und lag in einer Talsenke. Beschaulich lag meine Heimat 

Dies sind meine ersten Erinnerungen, die nicht gleich die besten sind. Zwar war meine Existenz damals gesichert, dennoch war es eher ein kaltes und raues miteinander. Schon im Kindergarten war ich nicht der beliebteste. Kinder können verdammt grausam sein, erwachsene aber um so mehr. Meine Familie hatte Geld, doch gab dieses nie für uns Kinder aus. Wir hatten nur wenige, meist sehr verbrauchte Spielsachen. Seltsamerweise war aber für unsere zwei Hunde immer genügend Geld da. 

Kinder werden im allgemeinen sehr sehr schnell auf solche Verhältnisse aufmerksam. Von klein auf schon ein Außenseiter zu sein, ist alles andere als förderlich. Noch heute höre ich die Stimmen in meinen Kopf;
 
>>Schau dir mal den an, mir dem möchte ich nicht spielen.<<
>>Du riechst nach Pups<< 

Es gab wirklich nur wenige Kinder die mit mir spielten, aber es gab sie, was die ganze Situation doch erträglicher machte. Das Wochenende war immer das Schlimmste für mich. Am Wochenende ist unser Vater immer auf Hundeschauen bzw. Hundeausstellungen gefahren.  Dafür fuhr er öfters durch die ganze Republik, was für uns als Familie ebenfalls kein großes Vergnügen war. Die Veranstaltungen dauerten meist bis tief in die Nacht oder den jungen Morgen hinein. Teilweise dauerten manche Ausstellungen mehrere Tage bzw. ein ganzes Wochenende.

Manchmal sind wir erst spätnachts nach Hause gekommen. Teilweise auch Sonntags. Mein Vater nahm überhaupt keine Rücksicht auf uns Kinder oder gar auf meine Mutter. Teilweise hatten wir nur drei bis fünf Stunden schlaf, dannach ging es gleich wieder in den Kindergarten oder in die Schule. So war der allgemeine Ablauf eines noch sehr guten Wochendes.

Erschöpft und Angeschlagen ging es am nächsten Tag weiter. Ich und meine Schwester Laura standen meistens immer total neben der Spur. Die Betreuer aus Kindergarten und Schule sorgten sich um uns, doch meine Eltern fanden immer wieder einen Weg sich hinauszureden. Hätten wir Kinder ehrlich geantwortet, so wäre unser Leben wahrscheinlich anders, vielleicht auch sogar besser verlaufen. 

Die Betreuer wussten ja nichts von überhaupt nichts, und erst recht nichts davon, wenn ein Wochenende mal schlecht verlief. Das Schlimmste war immer wenn mein gnädiger Herr Vater mal wieder was getrunken hat. Er wurde gegenüber uns Kindern emotional verletzend. Sagte oft, dass wir zu nichts taugen, dreckig wären und sowieso nur Geld kosten. Ich hasste es immer wenn ich für ihn Bier aus dem Treppenhaus holen musste. Die Erinnerungen an den Biergestank im Treppenhaus brennt noch heute in meiner Nase. 

Mein Vater lies im allgemeinen keine eigene Meinung zu. Weder uns Kindern, noch meiner Mutter räumte er dieses Recht ein. Andere Meinungen wurden meisten runter argumentiert, wenn es gut lief. Wenn es nicht gut lief neigte mein Vater auch gern mal dazu eine "Backpfeife" oder "Popovoll" zu verteilen. Die Backpfeife glich eher einem festen Schlag ins Gesicht, und der Popovoll eher einer zerschmetterung des kindlichen Gesäßes.